Die Kanzlerin der Bilderflut
Datum: 19.11.2009, Feuilleton
Quelle: Berliner Zeitung
Die Kanzlerin der Bilderflut
Die Bilderproduktion der Kanzlerin Angela Merkel erreicht inzwischen
eine solche Intensität und mediale Omnipräsenz, dass es lohnt,
nachzufragen, warum wir so überfüttert werden.
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat ein Kanzler die
Inszenierung des öffentlichen Geschichtsbewusstsein so
ausschließlich - und ohne groß Widerspruch zu erfahren - auf das Bild
der eigenen Person zugeschnitten wie Angela Merkel. Hat sie keine
Berater, die sie warnen? Es steht zu befürchten: Sie will es so. Sie
inszeniert selbst. Das genau ist es, was sie unter "Ich will Deutschland
dienen" versteht. Die Botschaft heißt: Angela Merkel ist wie das neue
Deutschland. Und dieses neue Deutschland ist unbedarfter, aber
wichtiger und triumphaler als das alte war.
So sitzt sie unter den Großen der Welt im Strandkorb. So lächelt sie mit
dem französischen Präsidenten Sarkozy vor dem Arc de Triomphe wie
frisch verliebt. So lässt sie die schmucke Riege der Alliierten: Sarkozy,
Medwedjew, Brown und Hillary Clinton dramaturgisch gleichsam als
einleitende Vor-Band für ihre Rede am Brandenburger Tor auftreten,
endend in der Apotheose von Barack Obama: Wenn "diese Frau aus
Brandenburg" heute hier steht, beseelt von der "Kraft der Freiheit", was
in der Welt sollte noch unmöglich sein?!?
Nichts von all diesen Inszenierungen, Bildern und Wortschöpfungen ist
ganz falsch, es ist alles voll guten Willens und schön ausgedacht. Aber
nichts davon stimmt genau, ständig verrutschen die Bilder und die
Sprache durch Übertreibung und Überzuckerung.
Ist es wirklich komikfrei, wenn am 9. November fünf Tenöre
Westernhagens "Freiheit" schmettern ("Die Kapelle rumtata - und der
Papst war auch schon da - und was Süßes zum Dessert: Freiheit!")?
Und wer käme nicht ins Straucheln, wenn er ästhetisch in einer
einzigen Staatskapellen-Sequenz vom Memorial für Warschau zur
geschmetterten "Berliner Luft-Luft-Luft" herüberschunkeln soll? Darf
es nicht ein bisschen minimalistischer sein? Die Leitartikler und
Moderatoren malen kräftig mit am Kitsch und neuen Pathos. "Die
Kanzlerin sieht heute ganz glücklich aus," hörte man bei Phoenix. Ihr
"gleitet ein Lächeln über die Lippen" (FAZ). Angela Merkel war schon
die "wahre Nachfolgerin Ludwig Erhards". Neuerdings ist sie zu
"Adenauers Erbin" (FAZ) herangewachsen, der die große Ehre zuteil
wurde, in Washington die "Ode an die Freiheit" (auch FAZ)
anzustimmen. Mühelos schwebt sie in Helmut Kohls großen Schuhen
durch die Weltgeschichte. Und demnächst werden wir sie ganz gewiss
auch noch in Polen als legitime Nachfolgerin Willy Brandts erleben.
Schließlich will sie ja die "Kanzlerin aller Deutschen" sein.
Wir sehen, hören und begreifen: Das ist großes Staatstheater mit der
Lufthoheit über die Bildzeitung. Auch das einzig wirklich echte Moment
an diesem Polit-Pop- Abend vom 9. November, das man geradezu
dankbar wahrnahm - der kalte schwere Novemberregen, der die Großen
der Welt gelegentlich etwas klein und einsam unter ihrem Regenschirm
aussehen ließ - wird zu einem sakralen Ereignis umgemogelt: "Auch
der Himmel weint vor Freude!" (Bild)
Was will die Dramaturgie uns sagen? Die politische Dominotheorie
stand einmal für die echte Angst des Westens am Beginn des kalten
Krieges, dass ein Land nach dem anderen - wie Dominosteine - dem
Kommunismus anheim fallen könne. Nun, da die Geschichte gerade
andersherum gelaufen ist, wirkt es vom Bild her peinlich und triumphal
zugleich, wenn die Dominosteine aus Styropor von echten lebenden
Legenden des politischen Widerstands angestubst werden: Siehste,
geht doch!
Angela Merkel war damals nicht dabei. Sie hat in der DDR ein recht
systemkonformes, risikoarmes und karrierebestimmtes Leben geführt.
Niemand wirft ihr das vor, das eben gehört zu den sympathischen
Seiten medialer Kurzzeitgedächtnisse. Ihr Beitrag zur deutschen
Einheit begann erst einen guten Monat später, als die Mauer längst
gefallen war und auch der letzte begriff, wohin die Chose nun geht. Sie
startete dann jene Blitzkarriere, aus der man sehen kann, dass auch
hier Gorbatschow ein wenig im Irrtum lag. Denn manchmal belohnt das
Leben gerade die, die zu spät kommen. Es tut eben, was es will, das
Leben. Doch entbehrt es nicht der historischen Seltsamkeit, wenn die
glückliche Kanzlerin nun, eskortiert von Wolf Biermann und Jochen
Gauck, zwanzig Jahre später festentschlossen über die Bornholmer
Brücke geht, Gorbatschow, Walesa und eine ganze Fußballmannschaft
von Nobelpreisträgern im Gefolge….
Wir, die das alles verdauen müssen, bitten um ein Bilder-Moratorium!
Wenn etwas an der alten Bonner Republik gut war, dann ihre
Gebrochenheit und extreme Vorsicht in der Benutzung großkalibriger
historischer Symbolik, ihre intellektuelle Sensibilität im Umgang mit
historischen Daten. Über allem lag eine Melancholie, die nicht
aufzulösen war. Die realen Dramen der deutschen Geschichte waren
noch zu nah, die Erfahrung des Scheiterns mit interpretatorischen
Legendenbildungen zu groß. Wir wussten zu genau, wie man sich irren
kann und wie weh es tut, sich selbst und die Vertreter des eigenen
Landes nachträglich im falschen Bilderrahmen oder im falschen Pathos
aushalten zu müssen.
Als Willy Brandt in Warschau kniete, spürten alle, ein solches Bild
muss für ein Jahrzehnt als Solitär stehen bleiben.
Angela Merkel aber hat nun schon ein Dutzend solcher historisch
gemeinter Bilder produziert. Sie wird die Dosis steigern müssen, von
Mal zu Mal, um die Wirkung zu halten. Oder sie muss anfangen, echte
Politik zu machen. Die ist meist bilderarm.
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© 2013 Dr. Antje
Vollmer